Freie Software und OER

Die Free Software Bewegung ist deutlich älter als die Idee Freier Bildungsmaterialien. Die Free Software bewegen hat dabei eine Reihe an Auseinandersetzungen erlebt, die der OER Bewegung nicht unbekannt sind. Die Wahl der „richtigen“ Lizenz ist nur eine davon. Schaut man ein wenig genauer hin, kann OE (Open Education) viel von der Freien Software lernen. Wer die Kurzfassung des Textes lesen will, der sollte direkt nach unten zu den Lessons learned springen.

„Ich denke, dass jede allgemein nützliche Information frei sein sollte. Mit >frei< beziehe ich mich nicht auf den Preis, sondern auf die Freiheit, Informationen zu kopieren und für eigene Zwecke anpassen zu können. Wenn Informationen allgemein nützlich sind, wird die Menschheit durch ihre Verbreitung wieder reicher, ganz egal, wer sie weitergibt und wer sie erhält.“ (Richard Stallmann, ca. 1990)

Gemeinsamkeiten von Freier Software und OER

Technik beruht auf Standards, Bildung auch. Ein Standard, so wie ihn Microsoft für Bürosoftware inne hat, gibt es bei Bildungsmaterialien in Form von zugelassenen Schulmaterialien. Schulbuchverlage rekrutieren daraus Argumente für den Wert des Materials, das in einem mehrstufigen Prozess qualitativ geprüft wurde.

Genau wie Software müssen Bildungsmaterialien ständig den Anforderungen der Zeit angepasst werden. Das Projekt ist nicht zu Ende, wenn das Problem gelöst ist, sondern es muss den ständig sich ändernden Bedingungen angepasst werden. Deshalb bezeichnet man Software auch nicht als Produkt, sondern als Prozess. Für Bildungsmaterialien gilt das in gleicher Weise.

Die heutige Verbindung aus Curricula und Schulbüchern, die ein ganzes Jahr abdecken und mit allen flankierenden Lehrer- und Schülerangeboten ein Rundumsorglos-Paket schnüren, hat eine Generation von Lehrenden hervorgebracht, deren Kompetenz nicht zwangsläufig im bewerten und zuschneiden der Materialien liegen muss, sondern vor allem in einem Realitätsabgleich. Schon im Laufe des Lehrerstudium gehen fachliche vor pädagogischen Fähigkeiten. Die Schulbuchindustrie scheint hier die Zeichen der Zeit erkannt zu haben und den Lehrenden mit seinen Angeboten dort zu unterstützen, wo es am meisten nötig ist. Das hilft jedoch den Lernenden keineswegs.

Unterschiede

Software liegt in der Regel in zwei verschiedenen Versionen vor. Dem Quellcode, den ein Programmierer lesen kann und dem Binärcode, den nur eine Maschine lesen kann. Deshalb ist es bei Software überhaupt möglich, sie auch so zu veröffentlichen, dass niemand anders sie anpassen kann. Bildungsmaterialien kennen diesen Quellcode nicht, d.h. sie sind immer Open Source, sobald sie veröffentlicht sind.

Es gibt zwangsläufig keine klare Trennung zwischen Entwicklern und Nutzenden von Bildungsmaterialien. Da eine Programmiersprache zur Erstellung nötig ist, verschwimmt die Grenze und macht alle zu Produsern (Toffler). Dennoch wird vor allem von den Verlagen diese Trennung gerne aufrecht erhalten, um ihre Kompetenzen ökonomisieren zu können. Es geht dabei weniger um das prinzipielle Können, als vielmehr um die Qualität, die in einem „professionellen“ Fertigungsprozess sichergestellt werden kann. Daraus folgt, das Änderungen am Prozessbauplan nicht nur vom Entwickelnden, sondern auch vom Nutzenden vorgenommen werden könnten. Damit wird die Forderung von OER um so lauter.

Motivationen Freie Software zu programmieren

Ganz häufig wollen die Autor_innen ein individuelles Problem lösen. In einigen Fällen entsteht Freie Software aus einer altruistischen Motivation heraus. Nachvollziehbar ist jedoch, dass die Motivation aus dem unmittelbaren Gebrauch hervorgeht. Eine Studie dazu wurde vor vielen Jahren im Open Source Jahrbuch veröffentlicht. Eine mögliche Motivation für die Veröffentlichung des Codes kann auch sein,  die Kompetenz des Urhebenden unter Beweis zu stellen. Viele beteiligen sich aber auch einfach nur, weil sie Spass am programmieren haben oder sich mit der Gruppe identifizieren können. Ein häufig genannter Grund ist auch, dass man durch die Beteiligung an einem Coding-Kollektiv etwas lernt.

Ähnliches könnte man auf Bildungsmaterialien anwenden. Auch dort wird die häufigste Motivation sein, eine Lerneinheit für das eigene Seminar zu entwickeln. Häufig fällt dabei Material ab, das auch anderen zur Verfügung gestellt werden kann. Sehr selten wird man aus reiner Freude Bildungsmaterialien erstellen, die man selbst gar nicht gebrauchen kann. Aber das ist nur eine These.

Prozess der Erstellung Freier Software

Freie Software entwickelt sich vor dem Hintergrund eines spezifischen Szenarios, meist sind die mit der Software zu lösenden Probleme äußerst konkret. Im Idealfall läßt sich das Problem so weit verallgemeinern, dass sich damit auch ähnlich gelagerte Probleme lösen lassen. Damit gehen klare Verantwortlichkeiten einher. Meist ist der Ideengeber, der sogenannte Maintainer auch derjenige, der das Projekt antreibt und alle anderen Mitstreiter „bei der Stange hält“. Die Strukturen sind häufig flüssig, auch wenn es eine klare Hierarchie gibt. Der Maintainer kann wechseln, wenn sich im Laufe der Zeit herausstellt, dass er das Interesse an dem Projekt verliert. Neben einem inneren Kreis an Entwicklern, gibt es die Community, die zwischendurch testet und ihre Verbesserungsvorschläge den Core-Entwicklern mitteilt. Darüber hinaus übernehmen sie den Support für die Anwender. Die Angehörigen der Community sind in der Regel nicht in der Lage zu programmieren. Kann sich das Core-Team nicht über die Weiterentwicklung des Projektes einigen, ermöglicht die Lizenzierung von Freier Software das sogenannte Forking. D.h. eine Gruppe von Entwicklern spaltet sich ab und coded das Projekt auf seine Weise weiter. Unter Umständen führt das natürlich auf Dauer zu vielen verschiedenen Aggregaten, auf der anderen Seite macht es Projekte instabil, weil Projekte eine kritische Masse benötigen, um weiterentwickelt zu werden. Je weniger im Core Team verantwortlich mitentwickeln, um so wahrscheinlicher ist die Beendigung, wenn das anfangs formulierte Problem gelöst ist, oder aber andere Verpflichtungen eine Pflege und Weiterentwicklung des Codes einschränken, bis das Projekt ganz einschläft.

Die Community rund um eine Unterrichtseinheit gibt es so nicht, wenn man von einzelnen Beispielen wie l3t oder dem OER Schulbuch absieht.

Versionierung

Der Versionszyklus von Freier Software war schon immer kurz. Veröffentliche früh ist die Devise. Es hat sich als praktikabel erwiesen neben einer nightly build Version , die immer den aktuellen Entwicklungsstand berücksichtigt, eine stable Version bereitzustellen. Es hat sich aber auch gezeigt, dass die kontinuierliche Weiterentwicklung des Projekts dafür sorgt, dass sich die Dokumentation schnell überholt.

Hilfe

Um sicherzustellen, dass auch die nicht so versierten User die Software benutzen können, hilft meist die Community in sogenannten Webforen dabei, Probleme zu lösen. In der pädagogischen Praxis ist Hilfe eher im Kollegium zu finden, das Eingeständnis in der Internetöffentlichkeit sucht man vergebens. Wer will sich schon gerne nachsagen lassen, ein schlechter Pädagoge zu sein. Genau das wäre aber einzukalkulieren um Hilfe bei dem Einsatz von Bildungsmaterialien einfordern zu können. Freie Software hätte keine Verbreitung unter den Lieschen Müllers gefunden, hätte es nicht auch die Supportstrukturen gegeben.

Lessons learned

  • Werden die Materialien nicht intensiv genutzt, stirbt die Dynamik des Entwicklungsprozesses
  • Möchtest du, dass deine Materialien angepasst werden? – Stelle dein Material in einem bearbeitungsfreundlichen Format bereit. Bearbeitungsfreundlich ist jedes Format, zu dessen Software jeder Zugang hat, egal welches Betriebssystem genutzt wird.
  • Organisiere ein Core-Team um dein OER Projekt. Fange bei den Fachkolleg_innen in deiner Schule an. Nutzt zur Unterstützung Online-Tools wie Mailinglisten oder auch Google-Docs.
  • Mache deine Schüler/Teilnehmenden zur Community deines Materials, es sind ja die Nutzenden und wissen am ehesten, wo Verbesserungen nötig sind.
  • Fertige eine Dokumentation an. Entweder in Form einer Anleitung oder einer Beschreibung des eigenen praktischen Einsatz
  • Sehe dich als Dienstleister für dein Material. Nur wenn du ernsthaft Support anbietest (Mailadresse, Telefonnummer, Webforum) werden deine Materialien auch eingesetzt.
  • Mit Kritik umgehen, heißt in pädagogischen Zusammenhängen häufig die eigene Arbeit in Frage zu stellen. Das gilt auch für Materialien, die häufig den eigenen „way of teach“ spiegeln.
  • Fehlerhafte Benutzung sind die Grundlage für die Verbesserung des Materials. Gehe davon aus, dass Fehler nicht offen beschrieben werden, sondern biete eine Kontaktmöglichkeit, zum Beispiel per Mail, um direkt mit dem Autor in Kontakt zu treten
  • Mache dein Material kompatibel zu den verbreiteten Plattformen. Je mehr Menschen mit ihren Plattformen dein Material nutzen und anpassen können, um so besser.

Die Liste darf beliebig erweitert werden, gerne in den Kommentaren oder aber in euren eigenen Blogs. Was sind die Zutaten für einen gelingenden OER Prozess?